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Aufzeichnungen und Aufzeichnen
Mein künstlerischen Werdegang bestehen einige zentrale Themen:
mein Interesse am Trivialen, inhaltlich wie materiell; eine gewundene,
sich schlängelnde Beschreibungsweise; die Entwicklung meiner eigenen
künstlerischen Ausdrucksform, die ich „Aufzeichnungen“ nenne; und die
intensiv spielerische Auseinandersetzungen mit Materialien.
Ich betrachte das Triviale im Alltag. Ich bin der Meinung, dass die
Poesie des Trivialen unter dem alltäglichem Leben steckt. Die Segmente,
Fragmente des Lebens sind wie Wörter einer Sprache, ich sammele sie in
der Hand und versuche, sie neu einzuordnen. Diese visuellen Segmente
nehme ich als semiotische Elemente in meine Bildern auf. Ich baue mit
meiner eigenen Semiotik eine bildnerische Welt auf, die mein
Verständnis von meiner Umgebung, meinem Standpunkt reflektiert. Auch
materielle Segmente sind Spuren des Menschenlebens, die ich als
künstlerische Schaffensquelle gestalterisch und inhaltlich aufgreife.
Damit kann ich mit trotz kaum vorhandener Anwesenheit von Figürlichem
meinen in Bildern das Menschenleben umreissen.
Um die Segmente des Lebens „semiotisch“ einzuordnen entwickelte ich
nach und nach eine eigene Ausdrucksform, die ich „Aufzeichnungen“
nenne, mit der ich die fragmentarische Qualität des Inhalts
gestalterisch umsetzen kann. Ich sammele wiederverwendbare Materialien,
besonders triviale Zeitschriften oder Flyer und Handzettel. Ich habe
die verbrauchten Zeitschriften grundiert, und diese wiederbelebten
Hefte als Körper meiner Aufzeichnungen verwendet. Die grundierten,
beschrifteten Seiten gelten als mein Bildhintergrund, der seinen eigene
Akzent besitzt. Ich male, zeichne und schreibe darauf, hinterlasse
meine Eindrücke, Abdrücke und Spuren die sich mit dem Bildhintergrund
verflechten. Die Segmente des Hintergrundes tauchen manchmal unter ganz
deckender Grundierung auf, können eben so stark ausgeprägt sein, wie
der Vordergrund, der als „vom Autor erzeugte Spuren“ definiert ist.
Vordergrund und Hintergrund verflechten sich miteinander zu einem
künstlerischen Komplex. Sie können nicht mehr voneinander getrennt
werden, weder im formellen, noch im Inhaltlichen Sinne. Zwischen
Vordergrund und Hintergrund besteht ein Dialog, eine
Auseinandersetzung, eine verschwommene Ko-existenz. Dazwischen strömt
ein Gemurmel, ein Rauschen.
Das Aufzeichnen selbst ist ebenso wichtig in meinem Schaffensprozess
wie sein Resultat: Aufzeichnungen. Jede Geste des Aufzeichnens
hinterlässt eine Aufzeichnung als seine Spur, auch als Zeugnis seiner
Vergänglichkeit. Die Vergangenheit kehrt nicht zurück, wir können
lediglich die vorhandene Aufzeichnung des Vergangnen bestätigen,
dadurch den abwesenden Moment zurückzuverfolgen und uns die vergangene
Geste vorstellen. Das Aufzeichnen kann improvisatorische Tätigkeit
sein, besonders wenn es die Materialität der Konstellation oder des
Gestaltungsinstruments widergibt. Die Improvisation ist eng mit der
gleichzeitig stattfindenden Situation verbunden. Sie reflektiert nicht
nur die äußeren Umstände, sondern stellt den inneren Denkfluss, der zu
dem Zeitpunkt ausgelöst wird dar.
Aufzeichnungen sind die unmittelbare Visualisierung unserer Gedanken.
In meinen Aufzeichnungen nehme ich eine endlose Beschreibung vor,
kleine Variationen der alltäglichen Routine. Da die kontinuierliche
Bearbeitung alltäglicher Codes mit zeitlichen und räumlichen
Konstellationen eng verbunden ist, werden meine Aufzeichnungen
prozessuale Arbeiten und besitzen eine stark improvisatorische Qualität.
Aufzeichnungen gelten als multikulturelle, interdisziplinäre
Schnittstelle: Zeichnen, Malen, Schreiben, die Integration von Form,
Farbe und Sprache. Ich beschäftige mich seit 2001 mit der chinesischen
Kalligrafie. Unter ihrem Einfluss betrachte ich den Zusammenhang
zwischen Bildern und Sprachen, zwischen Wahrnehmungen und Bedeutungen
von unterschiedlichen multikulturellen Blickwinkeln aus. Meine
Aufzeichnungen sind ein Dialog, zwischen Bilde und Sprache, eine Nuance
meiner eigenen Erfahrungen und Erkenntnisse.
Materie und Zeichen
Meine Aufzeichnungen bewegen sich zwischen materiell und immateriell.
Durch das Zusammenspiel mit Materialien wird das Wahrnehmungsspektrum
erweitert, die Grenzen von Wahrnehmungen und Sinnen werden dadurch
überschritten.
Meine Aufzeichnungen haben materielle Handschrift, initiieren neue
Wirklichkeitserfahrungen, die in der Prozessualität der Materialien
selbst zu erleben sind. Zeit, Luftfeuchtigkeit wirken als
Einflussfaktoren, durch welche die Arbeiten beständig weiter „wachsen“.
Die Aufzeichnungen sind wie ein Wesen. Ich lebe mit ihnen, und sie mit
mir. Ich präsentiere meine Arbeiten in verschiedenen Räumlichkeiten, um
ein Zusammenspiel der Arbeiten mit unterschiedlichen äußeren
Konstellationen zu initiieren.
Wahrnehmungen und
Perspektivenwechsel
Wie kann man ein Bild erfahren?
Durch die Materialität der Farben und anderer Materialien...
Die Materialien haben die Oberfläche des Bildträgers verändert. Die
Struktur, die Textur des Bildes erzählen viel. Sie laden den Betrachter
ein, sie zu berühren. Durch die Materialität und Stofflichkeit werden
unsere Sinne wieder aktiviert und herausgefordert.
Ich mache meine Aufzeichnungen meistens in Buchform, um eine Haltung
des Lesens beizubehalten. Aber ich bewege mich über reine
„Künstlerbücher“ hinaus, konzentriere mich auf die Spannung zwischen
Materie und Zeichen. Meine Aufzeichnungen variieren durch vielseitigen
Techniken, Interessant wird es, wenn die verschiedenen
Gestaltungsformen und Techninken miteinander konfrontiert
werden. Diese Spannung bewirkt einen Wechsel von Wahrnehmungen
und Perspektiven.
Die Buchform meiner Arbeiten ermöglicht den Perspektivenwechsel des
Betrachters. Durch Veränderungen der physischen Haltung oder des
physischen Verhältnisses zwischen Arbeiten und Betrachter wird der
Betrachter nimmt der Betrachter die Arbeiten verändert wahr. Wenn man
seine Aufmerksamkeit auf den physischen Körper meiner Arbeiten lenkt,
wird man bemerken, dass meine Abreiten zweiseitig wahrnehmbar sind. Die
Grenze zwischen Vorderseite und Rückseite sind zu überschreiten. Um
diese Zweiseitigkeit optimal zu präsentieren, ist die entstand der
Entschluss, meine Arbeiten in Buchform zusammenzufassen. Diese
Präsentationsform bietet auch mehrere Perspektiven an, meine Arbeiten
zu erfahren. Man kann meine Arbeiten als Buch in der Hand halten, eine
intime Interaktion wie Lesen und Berühren findet statt. Der Betrachter
hinterlässt seine Spuren auf den Arbeiten, so wird das Betrachten zur
aktiven Teilnahme, durch die sich meine Arbeiten ständig verändern und
weiterentwickeln.
Inhalt, Themen, Konzepte
Seit 2007 konzentriere ich mich auf Erkenntnisse über die Schwebe
zwischen physischer und psychischer Präsenz. Diese Erkenntnisse
verstehe ich als ein ausgeprägtes Resultat/Phänomen meiner
multikulturellen und mehrsprachigen Erlebnisse. Sie als Phänomen zu
bearbeiten ist ein wichtiger Ansatz meines künstlerischen Schaffens.
Mich fasziniert vor allem der Begriff der Abwesenheit, er ist einer der
wichtigsten Ausgangspunkte meines künstlerischen Schaffens.
„Abwesenheit“ hat viele Facetten: die Vergänglichkeit, die Sehnsucht,
die Abwesenheit der (Mutter-)sprache, eine Diaspora, ein Wandern, eine
endlose Reise/Suche - eben die Abwesenheit selbst.
Wenn man die Abwesenheit auf einer gesellschaftlichen Ebene betracht,
ist die Abwesenheit nicht nur ein individuelles Thema, sondern auch
eine Spieglungsfacette allgemeines menschlichen Lebens. Ein Bild wird
gezeichnet: Ein Fremder im Ausland, sein erschwertes Leben, seine
soziale Probleme, und die Entmachtung seiner Muttersprache... Man ist
weder hier noch dort, man ist immer dazwischen. Ich will das Phänomen
nicht banalisieren, ich will versuchen, die Gegenwart der Abwesenheit
auszusprechen.
Ich versuche mit entsprechenden Ausdrucksweisen und von
unterschiedlichen Aspekten Abwesenheit zu formulieren. Man braucht
gleichzeitig subtile Wahrnehmungen, um die Präsenz der Abwesenheit zu
greifen. Aufzeichnen ist eine Geste, um das Vergangene festzuhalten,
ist (selbst)bewusste Improvisation. Es ist auch eine Sisyphusarbeit und
ihr Resultat sind die Spuren des Vergangenen. Mit diesen Spuren
verbinden sich mein Thema und meine Ausdrucksformen.
Techniken
Die Wiederbelebung von Alltagsmaterial ist eine der Hauptüberlegungen
in meinem Schaffensprozess. Wiederverwertete Materialien haben ihre
eigene Verschlüsselung. Ich verwende diese Materialien spielerisch, um
sie zu entschlüsseln und dann wieder neu zu verschlüsseln. Außerdem
benutze ich gern Industrieprodukte.
In meiner technischen Entwicklung versuche ich, die von mir
ausgewählten Materialien aus ihrem gewohnten, industriellen Kontext zu
befreien, sowohl gestalterisch als auch inhaltlich. Ich verwende die
Materialien anarchisch, die Bedeutung und Information ihres
ursprünglichen Kontextes wird innerhalb meines Schaffensprozess ins
Werk integriert. Die Materialien wandeln ihren Charakter vom Trivialen
zum künstlerische Repräsentativen. Die von mir verwendeten Materialien
reagieren sehr empfindlich auf äußere Einflüsse, sie verändern sich
durch Faktoren wie Zeit, Licht, Temperatur, und Luftfeuchtigkeit.
Damit befinden sich meine Arbeiten in einer ständigen Wandlung und
Veränderung, sie sind wie ein eigenständiges Wesen. Der
künstlerische Prozess behält dadurch eine Offenheit, das Werk „wächst“
auch nach seiner voläufigen „Fertigstellung“ weiter.
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